Ein Bericht über die Einweihung
Von Alexandra Luethen
Warum gehst Du zu einer lesbischen Friedhofseröffnung? Du bist weder lesbisch und außerdem jung und gesund? Und warum, um Himmels Willen, nimmst Du auch noch die Kinder mit? Und warum brauchen Lesben überhaupt einen eigenen Friedhof? Sieht so die Integration aus? Oder grenzen sie damit nicht selber andere aus? Steht da ein Schild „Männer verboten“? Warum tragen die eigentlich alle so komische Jacken und praktische Frisuren? Wäre ja noch schöner, wenn sich jeder seinen eigenen Friedhof machte…
So ähnlich waren die Reaktionen auf meine schlichte Erwähnung, ich wäre am Sonntag auf der Eröffnung des lesbischen Friedhofs gewesen und danach mit den Kinder im Volkspark Friedrichshain. Eine Freundin hatte mich eingeladen und ich nehme gerne teil, wenn eine meiner Freundinnen ein wichtiges Projekt zum Abschluss oder zur Eröffnung bringt. Dieses interessierte mich besonders, weil das Thema Tod und Sterben eines ist, dass uns nun wirklich alle betrifft. Ich beschäftige mich sogar gerne damit, weil in der Zeit des Sterbens mal ausnahmsweise viele Regeln nicht gelten, die sonst den Alltag bestimmen. Der Tod zwingt uns als Angehörige auf der Stelle und jetzt, gleich, sofort das eigene Leben ruhen zu lassen, für ein paar Stunden oder Tage jemand anderen in den Mittelpunkt zu rücken und Zeit zu teilen. Das ist oft belastend und traurig, aber in dieser erzwungenen Ruhezeit liegt manchmal auch ein Schatz verborgen, dem Sterbenden oder Verstorbenen nochmal zu begegnen, Nähe mit den Mittrauernden zu spüren, sich selbst in der eigenen Angst und der eigenen Kraft zu begegnen.
Der Friedhof ist ein Ruheort. Bis ich die Verstorbene beerdige, ist schon viel geschehen, hier findet die Lebensreise jetzt auch ihr örtliches Ende. Hier landet dann alles, was noch offen ist. Hier habe ich keine Eile mehr, sondern einen Punkt, der für lange Jahre bleibt. So verwirrt und traurig ich noch bin, ich kenne mit dem Grab eine Stelle, zu der ich gehen kann, wenn ich Sehnsucht habe oder ich mich in meiner Trauer aus dem Alltag zurückziehen will.
Das Leben geht weiter. Und das kann hart sein. Weil Trauer so lange dauert und weil ich zwar alles weiß, aber mein Herz nicht begreift. Auch auf dem Friedhof geht das Leben weiter, aber langsamer und reduziert auf Wesentliches. Auch wenn mir das halbe Leben um die Ohren fliegt, weil mir die Verstorbene an allen Enden fehlt: Ein Grab ist eine überschaubare Fläche, das kann ich schaffen, zu gestalten, in Ordnung zu bringen, zu pflegen. Und wenn ich es nicht schaffe, dann gibt es eine Bank, auf der kann ich sitzen, solange ich will. Und dann wäre es schön, wenn auf dieser Bank eine säße, die schon ein Stück weiter ist, als ich. Die es überlebt hat, offensichtlich. Mit der muss ich nicht reden, es würde mir erstmal reichen, dass sie da wäre. Und vielleicht käme irgendwann eine dazu, die meinen Platz auf der Bank bräuchte und ich wäre dann schon kräftig genug, aufzustehen. Das Leben geht weiter.
Der Friedhof ist ein Ort für die Lebenden. Und deshalb ist es mir persönlich zwar ziemlich egal, wo meine Knochen liegen werden, aber es ist mir wichtig, dass die, denen ich fehle, einen guten Ort haben, zu dem sie gehen können. Ich denke nicht, dass meine Kinder der Zufall entscheiden lassen werden, sondern, dass sie eine Wahl treffen. Einen Friedhof suchen werden, der mit mir zu tun hat und den sie gerne mögen. Und keiner wird ihnen reinreden, ob sie jetzt etwa besonders exklusiv sein wollen oder warum sie mich nicht neben jemanden legen, der dreibeinige Dackel züchtet, ob sie etwa etwas gegen dreibeinige Dackel hätten? Nein, ich denke, sie würden die Rückmeldung bekommen: Das habt ihr gut ausgesucht. Da hätte sie sich wohl gefühlt und mir gefällt es auch. Noch einfacher wäre die Sache, wenn ich vorher schon einen Ort zu meinem erklärt hätte, wenn ich mit Freundinnen und Freunden einen Friedhof geschaffen hätte, weil uns unsere Freundschaft wichtig wäre und uns das Thema Tod interessiert. Wenn wir Bäume gepflanzt hätten und eine Bank aufgestellt. Dann wüssten Kinder und Freundinnen ganz genau, wo sie mich begraben könnten. Und noch besser: Sie würden sich dort immer wieder treffen, ohne sich zu verabreden, weil die Gräber nahe beieinander lägen. Wäre das nicht eine schöne Idee? Miteinander trauern dürfen, ohne sprechen zu müssen, Gemeinschaft erfahren, ohne sich dabei anzustrengen, nach Lust und Laune nehmen und geben, wie es Zeit ist?
Deshalb war ich auf der Eröffnung des lesbischen Friedhofs. Weil eine meiner Freundinnen mit ihren Freundinnen genau das getan hat: einen guten Ort geschaffen für den Tod und das Leben.
PS: Würde ein Freund dreibeinige Dackel züchten und würde er mit anderen dreibeinigen Dackelzüchtern ein Friedhofsprojekt starten, weil sie das Thema interessiert und weil sie sich wünschen, dass es auch nach ihrem Tod einen Ort der Begegnung und des Miteinanders gäbe – ganz sicher würde ich zur Eröffnung gehen. Und mir wäre es egal, welche Frisur da gerade angesagt wäre, ganz ehrlich.
Ein Erlebnisbericht zur Friedhofseinweihung und einige Links zu Reaktionen von Presse und Fernsehen
Erster Lesbenfriedhof! Weltweit? ein Aprilscherz!?
„Hier der Bericht der SAPPhO-Mitarbeiterin Astrid Osterland, die sich plötzlich mit der Aufgabe konfrontiert sah, der Presse zu erklären, warum ein Lesbenfriedhof wichtig ist“:
Der 1. April ist ja bekanntlich ein Tag,der für Überraschungen gut ist. Mein 1. April in diesem Jahr hatte es da wirklich in sich.
Als ich morgenmüde meinen Gang zum Briefkasten antrat kam mir Mitbewohnerin Monika schon entgegen, winkte mit einer Zeitung und rief: „Musst Du unbedingt lesen!“
Die Zeitung, deren Lektüre mir da so ans Herz gelegt wurde, war die B.Z., ein Ableger der BILD-Zeitung. Ausgerechnet! Ich und B.Z. lesen? Seit wann denn das?
„Doch, doch. Musst Du lesen! Es geht um Euch.“ Na, gut.
Die Schlagzeile auf dem Titel bestätigte es: „Erster Berliner Friedhof nur für Lesben. Sonntag Eröffnung in Prenzlauer Berg“ und oben drüber „In dieser BZ stecken 3 April-Scherze. Die Schlagzeile aber gehört nicht dazu“. Immerhin!
Das allerdings hatte offenbar niemand gelesen, denn als nun – sämtliche Berliner Tageszeitungen incl. BILD hatten diese „Sensation“ an prominenter Stelle im Blatt – die Medien auf die Suche nach Informationen gingen und bei mir landeten, war ich vor allem damit beschäftigt, den April-Scherz zu dementieren und der Realität die Wahrheit zu geben.
„Ja, es gibt ihn, den ersten Friedhof für Lesben weit und breit, genauer gesagt ein Areal von 400 qm innerhalb eines wunderschönen alten Friedhofs mitten in der Stadt.“ Immerhin hatten BILD und B.Z. korrekt berichtet und später auch das Einweihungsfest umfangreich bebildert.
Die Initiatorinnen wären wohl im Traum nicht darauf gekommen, dass ihr Projekt solche Schlagzeilen macht. National aber auch international, wie ich alsbald feststellen durfte, denn der lokalen Berichterstattung folgten die überregionalen Zeitungen, allen voran Die SÜDDEUTSCHE, Spiegel-Online, DIE WELT und andere Blätter (vgl. auch den Pressespiegel auf der Website der „sappho-stiftung.de“)
Als erste rief an jenem Morgen des 1. April Renate Rampf vom LSVD an. Wir sind ja in Berlin gut vernetzt. Ihre Botschaft, etwas genervt: „Die Presse rennt mir die Bude ein wegen Eurem Friedhof, weil sie nicht wissen, wen sie sonst fragen sollen. Die wollen alle ein Statement. Bitte übernehmt das selbst! Ab sofort verweise ich auf Dich und SAPPhO, wenn jemand anruft.“
Darauf musste ich nicht lange warten, denn von da ab ging es Schlag auf Schlag. Radio 1 machte den Anfang mit eine live-Schaltung ins Programm und konfrontierte mich mit Äußerungen von Elton John, Alt-Bundeskanzler Schmidt und Berlins Bürgermeister Wowereit, die angeblich gar nichts von einem solchen Friedhof hielten. Angeblich, wohlgemerkt. Wir ahnen: es war ja 1. April und da ist jeder Scherz erlaubt, wie der Moderator mir zum Abschluss offenbarte. Aber etwas verwirrt war ich nach diesem Entrée schon. Wer hätte gedacht, dass unser Friedhof als vermeintlicher April-Scherz in die Öffentlichkeit gerät?
Immerhin gab dies dem Ganzen noch mal mehr Aufmerksamkeit, denn in manchen Redaktionen wurde zuvor kontrovers diskutiert, welchen Wahrheitsgehalt diese Nachricht hat und ob man da mal recherchieren sollte, erzählten mir mehrere Redakteurinnen.
Offenkundig hatten sich eine Menge Redaktionen – sowohl aus dem Print-, dem Internetbereich als auch den Hörfunkstudios – für ein Recherche entschlossen und landeten auf unterschiedlichen Pfaden bei mir und Usah Zachau, u.a. weil wir die Einzigen waren, die aus der Gruppe der Aktivistinnen überhaupt erreichbar waren.
Alsbald war ich über diesen Tag hinaus damit beschäftigt, ein Interview nach dem anderen zu geben – sei es am Telefon oder bevorzugt vor Ort wg. des garantierten Vogelgezwitschers im Hintergrund und eines Fotos vom schönen Friedhofsgelände.
Es meldeten sich bekannte Medien und Redaktionen – z.B. der EPD (Evangel. Pressedienst), die TAZ, ausländische wie Le Monde, Agence Press, The Guardian, Der Standard (Wien), und unbekannte wie die Nachrichtenagentur Ruptly, The Local Wave (engl. Online-Magazin), 360 Grad (Schweizer Queer-Magazin) u.a. Leider habe ich am Anfang vor lauter Aufregung und weil alles so Schlag auf Schlag ging, gar nicht mitgeschrieben, wem ich die frohe Botschaft alles verkündet habe: „Ja, es gibt ihn, den Friedhof ausschließlich für Lesben! Nein, wir wollen uns nicht in erster Linie ab- oder ausgrenzen“.
„Inklusion“ ist ja das politische „Zauberwort der Stunde“, wenn es um die Diskriminierung Homosexueller geht, so als seien wir längst im gelobten Land der sexuellen Vielfalt, in der es keine Diskriminierung mehr gibt. Gegen dieses Gebot des Glaubens an das Gute im Menschen haben wir offenbar verstoßen, wie den Nachfragen immer wieder zu entnehmen war und das war häufig auch der Aufhänger für Kommentare, die das Niveau der Gürtellinie nicht erreichten. Liest frau die Kommentare, so repräsentieren sie offenkundig vor allem die Phantasien ihrer Schreiber als die Realität unseres Lebens und unserer Wünsche.
Beispielhaft hier die Phantasie des Kommentators der BERLINER ZEITUNG: „Am kommenden Sonntag, wenn in Prenzlauer Berg der 1. Lesbenfriedhof eröffnet wird“ so spukts im Hirn des Schreibers, „fährt die Sense von Gevatter Tod scharf zischend durch die Gesellschaft. Sie trennt die Bindungen der gleichgeschlechtlich lebenden Frauen von dem ab, was man heterodominante Gesellschaft nennt.“
Hier kann ich immerhin den Schreiber beruhigen. Der Abstand zu unserer heterodominanten friedhöflichen Nachbarschaft beträgt ein paar Meter. Insofern sind wir bestens inkludiert.
Aber, so erfahren wir im weiteren: „Berlin wird auch mit dieser Art von sozialer Differenz im Todesfall leben können, so lange es heterosexuellen Angehörigen nicht verwehrt wird, im schwul(!)lesbischen Friedhofseparée zu trauern“.
Keine Angst! können wir dem besorgten Berliner zurufen. Unser Friedhof hat keinen Zaun und wir wollen nach dem Tod, wie die meisten Menschen auch, im Kreise unserer Lieben beerdigt werden, und das sind nun mal frauenliebende Frauen, und vor allem die, mit denen wir unser Leben lang gegen die Diskriminierung und Ausgrenzung von Lesben gekämpft haben.
In dieser Richtung bevorzugen wir eben unsere Wahlverwandtschaft statt, wie bei Heteros uns -ras üblich, die Blutsverwandtschaft und, ja, auch ich selbst möchte hier mit meiner Liebsten beerdigt werden und, nein, es war gar nicht so schwer, einen Friedhof zu finden, der unsere Idee ernst nahm und uns Heimstatt auch nach dem Tod gibt.
Und noch etwas vernahm die erstaunte Öffentlichkeit: Lesben wollen sichtbar sein. Wir wollen uns nicht (mehr) verstecken, auch über unseren Tod hinaus und deshalb gibt es auch keine anonymen Bestattungen bei uns.
Wo ist das Problem?
Die Bilanz dieses unverhofften Ausflugs in die nationale und internationale Medienwelt: die Berichterstattung war im allgemeinen fair und halbwegs richtig, wenngleich der Verein Safia und die Stiftung SAPPhO trotz all meiner Aufklärungsbemühungen ständig verwechselt wurden und ich ganz unverhofft zur „Pressesprecherin der SAPPhO-Stiftung“ ernannt wurde.
In dieser Eigenschaft hatte ich übrigens auch noch das Vergnügen, meine körperliche Fitness zu überprüfen. Als ich eines Abends mit einer Journalistin den Friedhof verlassen wollte, war er bereits geschlossen. Die Vorstellung, meine Nacht nun im Erbbegräbnis Max Müller zu verbringen, bescherte mir ungeahnte Kräfte, den hohen Friedhofszaun trotz großer Bedenken zu überklettern und dann noch die junge Kollegin rüberzuhieven, die zwar halb so jung dafür aber doppelt so schwer war. Wir haben es geschafft und waren danach per Du.
„Wat willste mehr?“, fragt die Berliner SAPPhO-Mitarbeiterin und freut sich über solche vielfältige Einsätze für die geschätzte SAPPhO-Stiftung.
http://www.jenseite.de/ein-friedhof-fuer-lesben/
Jenseite – Journal über Leben und Tod
http://www.thiesmeyer.de/2014/04/07/so-fuehlt-sich-das-an/
Kopfkino aus erster Hand
http://www.n-tv.de/panorama/Letzte-Ruhe-unter-Schwestern-article12608146.html
http://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/friedhof-fuer-lesben-in-berlin-eroeffnet-a-962931.html
http://www.tagesspiegel.de/berlin/georgen-paro
Die Presseerklärung der Stiftung SAPPhO
Berlin, 02.04.2014: Am 6. April 2014 wird in Berlin ein 400 m² großes Friedhofsareal zur Bestattung lesbischer Frauen eingeweiht. Es soll ein Ort der Trauer um die Verstorbenen und der Begegnung der Hinterbliebenen sein, sowie der Kultur lesbischer Lebensweise Ausdruck verleihen. Alle Formen von Spiritualität und Religion können neben- und miteinander ausgeübt werden.
Die SAPPhO-Frauenwohnstiftung, 1997 von lesbischen Frauen gegründet, hat die Trägerinnenschaft übernommen. Initiiert wurde das Projekt von Mitfrauen des bundesweiten Vereins „Safia – Lesben gestalten ihr Alter“ und für 15.000 € neu angelegt.
Das Friedhofsfeld liegt auf dem evangelischen Georgen-Parochial-Friedhof in Prenzlauer Berg und wurde von der Friedhofsverwaltung zur Verfügung gestellt. Es bietet 80 Grabstellen für Urnen- und Erdbestattung. Gestaltet wurde das Areal nach dem keltischen Symbol der dreifachen Spirale, der Triskele, die auch als „Kreislauf des Lebens“ bezeichnet wird.
Das Lesbenfriedhofsareal soll auch ein positives Zeichen setzen für die gleichgeschlechtliche Liebe unter Frauen, die es zu allen Zeiten und in allen Kulturen gegeben hat und geben wird. Die Frauen von Safia und SAPPhO gehen in ihrer Beerdigungskultur offensive Wege, als Statement gegen die weitgehende Unsichtbarkeit von Lesben in Gesellschaft, Politik und Medien.
Daher wird es auch keine anonyme Bestattung geben. Die Frauen, die dort begraben werden, stehen offen zu ihrer lesbischen Identität. Die Idee der lesbischen Gemeinschaft wird auch dadurch unterstrichen, dass die Namen aller, die dort bestattet werden, auf einer Gedenktafel ihren Platz finden sollen.
Mehrere Male im Jahr wird das Areal gemeinschaftlich gepflegt. Wildsträucher sollen Insekten und anderen Tieren Nahrung bieten. Eine große geschwungene Bank lädt zum Verweilen ein. Ob spontan oder bei kulturellen Veranstaltungen können sich sowohl Lesben begegnen, als auch an lesbischer Lebensweise Interessierte. Auf diese Weise soll der Tod zurück ins Leben geholt werden, in einer Gesellschaft, die das Leiden, das Sterben und das physische Ende angstvoll aus ihrer Mitte verbannt hat.
Die Resonanz in den Medien ist groß und überwiegend positiv. Auch internationale Fernsehsender werden bei der Eröffnung dabei sein.
Kontakt:
Usah Zachau +49 (0)163-139 29 82 (mobil, mailbox)
E-Mail: usahzachau@hotmail.com
Astrid Osterland +49 (0)30-240 350 83, osterland_a@yahoo.de